Der Handlungsbedarf zur Sicherung der Bestände der Heimatstuben der Flüchtlinge und Vertriebenen aus den historisch ostdeutschen Gebieten nimmt an Dringlichkeit zu. Ein Tagungsband des Museumsverbands für Niedersachsen und Bremen e. V. (MVNB) gibt Antworten und Empfehlungen zur Transformation und Zukunftssicherung der Einrichtungen als Erinnerungsorte einer europäischen Migrationsgeschichte. Der Landesbeauftragte für Migration und Teilhabe, Deniz Kurku, verschaffte sich bei seinem Besuch zweier Heimatstuben in Winsen Luhe einen Eindruck davon, wie dies gelingen kann. Um die Heimatstuben neu zu beleben und ihren Erhalt zu sichern, haben hier das Museum im Marstall und die Kreisgemeinschaften Schlossberg und Ebenrode Kooperations-vereinbarungen geschlossen. Gemeinsames Ziel ist es, diesen Teil der Geschichte Winsens wieder stärker ins Bewusstsein zu bringen.
Das Projekt „Herkunft.Heimat.Heute.“
Über drei Jahre, von 2020 bis 2023, hat sich der Museumsverband im Rahmen des Projekts „Herkunft.Heimat.Heute.“ zusammen mit dem Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa (BKGE) intensiv mit der Lage der Heimatstuben befasst, Beratungen durchgeführt und Perspektiven entwickelt, wie die zum Teil kulturhistorisch bedeutsamen Sammlungsobjekte der Heimatstuben als Teil einer europäischen Migrationsgeschichte nachhaltig bewahrt werden können. Die Probleme sind seit Jahren benannt: Geringe personelle Ressourcen, schwindendes Ehrenamt aufgrund von Überalterung, damit einhergehend schwindende Finanzmittel, fehlende Nachfolgeregelungen, kaum öffentliche Zugänglichkeit durch eingeschränkte Öffnungszeiten, eine oft mangelhafte Dokumentation der Bestände und keine Digitalisierung der Sammlungen. Im Rahmen einer dreitägigen Abschlusstagung im September 2022 in Oldenburg kamen Forschende und Museumspraktiker*innen aus Deutschland, Tschechien, Polen, Russland, Frankreich und den Niederlanden zusammen, um Perspektiven zur Zukunft von Heimatsammlungen aufzuzeigen. Neben Möglichkeiten von Kooperationen diskutierten die Fachleute über Wege der Sammlungsabgaben an lokale Museen, Archive, Landesmuseen und übergeordnete Dokumentationszentren sowie über transnationale Übergaben. Ein weiterer zentraler Punkt war die Frage, wie Flucht und Vertreibung in Folge des Zweiten Weltkrieges heute dargestellt werden muss und wie ein historisch angemessener, gesellschaftlich akzeptabler Konsens zwischen verschiedenen Narrativen gefunden werden kann. Nachzulesen sind die 23 Beiträge jetzt in dem vom Museumsverband herausgegebenen Tagungsband „Zur Musealisierung von Heimatstuben und Heimatsammlungen der Flüchtlinge, Vertriebenen und Aussiedler*innen“. Der Band umfasst 256 Seiten und ist für 19,90 EUR über den Buchhandel oder direkt beim Verband zu beziehen.
„Die Heimatsammlungen der Flüchtlinge und Vertriebenen stellen eine Sonderform der Heimatstube dar, die in der Bundesrepublik Deutschland seit den 1950er Jahren entstanden ist. Die Vertriebenen schlossen sich damals zu Kreisgemeinschaften zusammen, um sich zu unterstützen und die Erinnerung an die alte Heimat zu erhalten. Im Zuge des demographischen Wandels nimmt der Anteil jener, die diese Heimatstuben aktiv nutzen, stetig ab, während sich auf der anderen Seite die Sammlungen zunehmend durch die Abgabe von Nachlässen vergrößern. Als Museumsverband beobachten wir diese Entwicklung schon seit Jahren mit großer Sorge, denn diese Sammlungen bergen häufig wertvolle Zeugnisse zur niedersächsischen Nachkriegs- und Migrationsgeschichte.“ (Prof. Dr. Rolf Wiese, Vorsitzender MVNB)
„Als Landesbeauftragter für Migration und Teilhabe bin ich auch Ansprechpartner für die Spätaussiedlerinnen, Spätaussiedler und Heimatvertriebene. Ich danke dem Museumsverband, dass er mit dem Projekt ‘Herkunft.Heimat.Heute‘ sich museumsfachlich den Nöten und Herausforderungen der Heimatstuben angenommen und den Wert dieser Sammlungen als Zeugnisse einer europäischen Migrations- und Nachkriegsgeschichte aufgezeigt hat. Die in dem nun vorliegenden Tagungsband veröffentlichten Empfehlungen geben den Verantwortlichen der Heimatstuben wertvolle Hinweise und Hilfestellungen, wie sie ihre Einrichtungen für die Zukunft aufstellen könnten. Dass dies gelingen kann, zeigt die Kooperation der Schlossberger und Ebenroder Heimatstuben mit dem Museum im Marstall. Die Kultur- und Gedenkarbeit, die Heimatstuben leisten können, ist wichtig und unersetzbar. Es gilt mehr denn je die schrecklichen Folgen von Flucht und Vertreibung begreifbar zu machen, die Erinnerung an Vertriebenenschicksale wachzuhalten und auch deren Leistungen zu würdigen. Daher freue ich mich, in diesem Jahr einige der niedersächsischen Heimatstuben zu besuchen, um das wertvolle Kulturgut dort anzuschauen und die Menschen treffe, die sich für dessen Erhalt einsetzen.“ (Deniz Kurku, Landesbeauftragter für Migration und Teilhabe)